Britannica & ich
Von einem, der auszog, der klügste Mensch der Welt zu werden.
Es war der Umschlag, der mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht hat. Es ist aber auch schön: das matte Schwarz und der goldene Rand, der im Licht glänzt (man kann sich sogar darin spiegeln, wenn man den Streifen nah genug ans Auge hält). Dass es sich bei den Vergoldungen um eine Anspielung auf den »goldgeprägten Rücken« der Encyclopædia Britannica handeln soll, liegt nahe. A.J. Jacobs kam auf die herzlich unbedarfte Idee, die Gesamtausgabe der Encyclopedia Britannica zu lesen um der klügste Mensch der Welt zu werden. In diesem Buch hat er seine Erfahrungen in Anlehnung an Artikel der Enzyklopädie niedergeschrieben.
»In Anlehung« muss man sehr wörtlich nehmen. Das Brigitte-Zitat auf dem Buchrücken meint: »Alles wirklich Wissenswerte haben wir durch A.J. Jabobs' heroischen Selbstversuch gelernt. Und uns dabei noch köstlich amüsiert.«. Amüsiert habe ich mich tatsächlich. Aber erst, nachdem ich meine eigentliche Erwartung an das Buch über den Haufen geworfen hatte. Erwartet hatte ich - naiv und unüberlegt - dass ein knapp 400 Seiten umfassendes Taschenbuch tatsächlich »alles wirklich Wissenswerte« der Enzyklopädie zusammenzufassen vermagt. Dem ist aber gar nicht so. Die Regeln fürs Lesen dieses Buchs lauten: 1. nicht erwarten, vom mutmaßlich imensen Wissensschatz des Autors etwas abzubekommen, und 2. krude Gedankengänge des Autors mit Humor zu nehmen.
Als Beispiel nehme ich den Artikel zum Thema »Hunde«: hier informiert Jacobs knapp über das dritte Augenlid der Tiere, um dann auf den folgenden zweieinhalb Seiten zunächst zum eigenen »blutunterlaufenen«, aber mittlerweile verheiltem Auge dank »Julies Möhrenkur« abzudriften. Das führt zu der Erwähnung, dass des Autors Mutter diesem eine spezielle Leselampe anschaffte, was Jacobs widerum dazu veranlasst, Empfehlungen für das Lesen der in jeder Hinsicht schweren Lektüre anzubieten (korrekte Haltung, bequeme Kleidung, reichlich Flüssigkeit). Im selben Schwung folgt eine Aufzählung jener Orte, an denen Jacobs bereits gelesen hat (Auto, Klo, New Yorker U-Bahn etc.). Nach einigen weiteren Zeilen über das eigene Erinnerungsvermögen (die gelesene Information will ja behalten werden) teilt er dem Leser beiläufig mit, dass ein Präkambrium 3,8 Millionen Jahre umfasst.
Dieses Beispiel eines Artikels lässt sich leicht auf alle Artikel übertragen: Bei den »Azteken« erfahren wir von den »Schweinigeleien« im Liebesleben Aristoteles, Mick Jaggers Geburtsjahr steht irgendwie im Zusammenhang mit den »Acoemeti«, Mönchen des 5. Jahrhunderts, das Stichwort »Präzendenz« veranlasst ihn schließlich dazu, die Chefredaktion der Britannica anzurufen.
Britannica & ich ist keine Auflistung seltsamer Begriffe und deren Erklärung. Vielmehr schweift Jacobs vergnüglich assoziativ in subjektive Gedanken und Anekdoten aus seinem Alltag ab, die vornehmlich zur Zeit der Enzyklopädie-Lektüre stattfinden. Kurz: Jacobs fasst zusammen, was niemand »wissen muss«: viel privaten Alltag (Kinderwünsche, dekadente Feste in Manhattan, Spleens des Vaters) und ein bisschen abstraktes Britannica-Wissen.
Doch Jacobs familiäre Seitenhiebe sind oft komisch. Und sie sind glaubwürdig, da er keine Namen abzuändern scheint - Erfahrungen mit seinem Arbeitgeber Esquire werden ebenso unverblümt verarbeitet wie Plänkeleien mit Ehefrau Julie. Stets darin verwoben ein paar erlernte Kuriositäten, die er - in der Hoffnung auf Anerkennung und Aufmerksamkeit - zu jeder Gelegenheit im Familien- und Freundeskreis einstreut und dabei (zu seinem beteuertem Leid und des Lesers Freude) auf wenig Gegenliebe stößt.
Irgendwann (65000 Einträge und 44 Millionen Wörter später) ist der Selbstversuch zu Ende: »Keine Beifallsstürme, kein Siegertreppchen und kein Lorbeerkranz. Nur ein seltsames Gefühl der Leere«. Julie jedenfalls freut sich. Und ich freue mich auch, denn ich habe soeben ein Buch beendet, bei dem ich zwar nichts nichts gelernt habe, das mir dafür aber viel (profane) Freude bereitet hat.
[boxmeinung]Auch gelesen hat's Pietro Tomasino / heideschwaetzer.de und sagt: »Ich habe viel lachen müssen« [/boxmeinung]
- Veröffentlicht:
- Medium:
- Buch
- Autor:
- A.J. Jacobs
- Verlag:
- List
- Kommentar:
- A.J. Jacobs' Anekdoten über Familie, Beruf und enzyklopädische Kuriositäten
- ISBN:
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