Das Heiligenspiel

Ursula Niehaus zeichnet wieder das Leben einer historischen Frauenfigur nach

Anna Laminit ist als »Hungerheilige« und »geistliche Betrügerin« in die Geschichte Augsburgs eingegangen - durch die Behauptung, ohne Nahrung und allein durch den Verzehr von Hostien überleben zu können. Einst aus der Stadt verbannt wird sie als junge Frau im Jahr 1503 als Heilige verehrt, der selbst Persönlichkeiten wie Martin Luther und Kaiser Maximilian einen Besuch abstatten. 1511 wird sie als Betrügerin entlarvt und dann - so habe ich's im Buch Die Stadt im späten Mittelalter nachgelesen - bald darauf »wegen anderer Betrügereien« in Freiburg im Üechtland ertränkt.

Ein strahlend glückliches Happy End dürfte nicht zu erwarten sein.

Ursula Niehaus greift die historische Persönlichkeit mit dem Vorhaben auf, sie zu rehabilitieren: in diesem Roman ist Anna Laminit keine berechnende Betrügerin, sondern ein Opfer böswilliger Mitmenschen und ihrer eigenen Naivität und Gutmütigkeit. Niehaus' Anna Laminit ist ein außergewöhnlich selbstloses Mädchen. Die Beschreibung ihres Aussehens determiniert ihre Rolle als Sympathieträgerin: »Es stimmte ja, niemand würde auf die Idee kommen, Anna als hübsch zu bezeichnen. Dafür sah sie einfach zu gewöhnlich aus mit ihren etwas zu dichten, dunklen Augen, dem gelblichen Teint und ihren schwarzen Haaren. Doch wenn sie lächelte, überzog ein warmes Strahlen ihr schmales Gesicht, das diese Mängel vergessen machte, und ein fröhliches Grübchen im Kinn ließ ihre Züge freundlich und warmherzig erscheinen«.

Als 15-jährige wird sie - unverschuldet, durch eine Intrige der Freundin - der Stadt Augsburg verwiesen und kommt bei einem Kräuterweib unter, deren Handwerk sie erlernt. Ihr hat Anna es auch zu verdanken, dass sie eines Tages zurückkehren kann und als Betschwester in Augsburg leben kann. Hier kommt es zum alles entscheidenden Wendepunkt: eine simple Magenverstimmung verhindert die Nahrungsaufnahme, einzig die empfangene Hostie sucht nicht den direkten Weg wieder hinaus - das spricht sich bald herum. Anna versucht dies zunächst aufzuklären, erkennt dann aber die Macht der Stellung als Heilige, uneingeschränkt Gutes für die Armen Augsburg zu tun und erhält den Schein auch aufrecht, als sie heimlich wieder zu essen beginnt. Doch das Heiligenspiel muss zwangsläufig irgendwann ein Ende finden ...

Ursula Niehaus ist wieder da. In ihrem zweiten Roman widmet sie sich erneut einer historischen Frauenfigur und zeichnet ihr Leben fiktiv und anhand der vorhandenen Fakten nach. Wie in ihrem ersten Roman Die Seidenweberin ist es gerade die Zeit vor dem historisch belegten Inerscheinungtreten der Figur, in der es Niehaus gelingt spannend, fantasievoll und lebendig zu erzählen. Und auch dieser Roman krankt dann am selben Phänomen: sobald der historische Rahmen einsetzt, verfällt Niehaus in eine stockende Erzählweise und löst Konflikte damit, dass sie einfach einen Zeitsprung vollzieht.

Die Protagonistin erscheint mir in ihrem Motiv und ihrem Erscheinungsbild zunehmend undeutlicher, was auch die verbotene Liebe zu dem Händler Anton Welser nicht zu retten vermag - im Gegenteil. Was als lebendiger historischer Roman beginnt, wird zu einer lebensarmen Biografie und bietet dann - wer hätte bei den gegebenen historischen Fakten damit gerechnet - doch noch eine Art Happy End.

Ich würde mir wünschen, dass Ursula Niehaus in ihrem nächsten Roman eine gänzlich fiktive Frauenfigur porträtiert - dann würde sie meine Erwartungen gewiss nicht mehr enttäuschen.

Das Heiligenspiel
Veröffentlicht:
Medium:
Buch
Autor:
Ursula Niehaus
Verlag:
Knaur
Kommentar:
Was nun - historischer Schinken oder Biografie?
ISBN:
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