Das Vermächtnis der Wanderhure

Zum dritten Mal - Iny Lorentz lässt die Hure wieder wandern

Vermächtnis steht für Nachlass oder Erbe und so habe ich eigentlich erwartet, die Wanderhure Marie im dritten Band tot vorzufinden – zumal ich den zweiten Band nicht gelesen habe. Tatsächlich ist sie nur um einige Jahre gealtert, seit sie bei unserer letzten Begegnung als wandernde Hure am Bodensee des 15. Jahrhunderts ihr unfreiwilliges Unwesen trieb.

Du bist fünf harte Jahre als Wanderhure über die Straßen gezogen, Marie, du hast einen grauenhaften Winter in der Gefangenschaft der Taboriten überstanden. Also wirst du auch jetzt nicht aufgeben! (Marie, zu sich selbst)

Schon damals war das Buch reichlich mit Gewaltszenen (Folter und Vergewaltigung) ausgestattet. Jetzt, knapp 20 Roman-Jahre später und um einige Stände höher (Herrin eines Lehens), wird ihr der neugeborene Sohn von einer Frau entrissen – deren seelische und körperliche Hässlichkeit nicht oft genug erwähnt wird – und sie selbst wird in die Sklaverei nach Russland entführt.

Zu ihrem Glück gilt sie in ihrem Alter nunmehr als »altes Weib«. Da ist es nur fair, dass die zahlreichen Züchtigungen und Vergewaltigungen nicht mehr ihr geschehen (sie hat ja auch genug mitgemacht!), sondern einer jungen Mitgefangenen aus Afrika, die bald ihre Freundin wird. Währenddessen heiratet der vermeintliche Witwer daheim in Deutschland wieder (er scheint vor allem den geregelten Beischlaf zu vermissen). Der Leser weiß natürlich, dass die bewanderte Hure auch diesmal zurückwandern wird. Wenn sie dann allerdings irgendwann in Riga an Land geht, fürchtet man bei einem Blick auf die Landkarte mit den zahlreichen, quer in Europa verteilten verzeichneten Ortsnamen ihrer Wanderschaft, dass die folgenden 500 Seiten kaum ausreichen werden, den beschwerlichen Heimweg zu beschreiben.

Ein süffiger Schmöker, nicht ohne Enttäuschungen. Trotz einer verstärkt politischen Ausrichtung wird das Autorenpaar alias Iny Lorenz seinem Ruf gerecht, ihre weiblichen Protagonistinnen von einer Vergewaltigung, Schändigung und Auspeitschung in die Nächste zu treiben. Das scheinen sie in einem Anflug von Selbstkritik gar selbst einzusehen:

»[…] Da begriff sie [Marie], dass sie all das, was eigentlich nur die Ausgeburt einer perversen Phantasie sein konnte, am eigenen Leib erlebte. « [Erzähler, Seite 116, Z. 5].

Das Vermächtnis der Wanderhure
Veröffentlicht:
Medium:
eBook
Autor:
Iny Lorentz
Verlag:
Knaur
Kommentar:
Wo wandert die Wanderhure diesmal hin?
ISBN:
B004X2X436 Bei Amazon kaufen