Der Chirurg Napoleons
Eine steile Arztkarriere zu Zeiten von Napoléon Bonaparte
Als erstes sehe ich den Umschlag. Der zweite Blick fällt auf den Titel. Kurz streifen meine Augen den Autor, was aber keine so große Rolle spielt, denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich ihn ohnehin nicht kenne. Was verrät mir also dieser Umschlag hier? Ich sehe eine »historische« Gemäldehand mit Firnisrissen, die einen roten Umhang wie einen Rocksaum anhebt, darunter erscheint ein »N« für Napoleon - die sprichwörtliche Lüftung des Mantels der Geschichte?
Ein Titel wie »Der Chirurg Napoleons« könnte ja glauben machen, dass wir hier einigen komplizierten Operationen an Napoleons Torso beiwohnen dürfen. Spätestens jetzt drehe ich das Buch um und überfliege die Inhaltsangabe: »ein frostiger Tag im Dezember 1840. Fast ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod wird Napoleon Bonaparte nach Paris überführt [...]«
Moment mal - ist der schon tot? Jedenfalls: Wenn es in diesem Buch chirurgische Eingriffe an Napolen gäbe, stünde es dort mit Sicherheit - einen besseren Aufhänger gibt es doch nicht.
Aber: es geht hier gar nicht um Napoleon, sondern eben um den Chirurg Dominique Jean Larrey.
Dominique Jean Larrey, Feldchirurg bei der Marine, schließlich Oberfeldscher der Großen Armee von Napoleon I. und - ja, eben auch dessen »persönlicher Leibarzt«. Als Ich-Erzähler berichtet er neben seinen Erlebnissen in zahlreichen Feldlazaretten auch von der Begegnung mit Napoleon. Der Autor legt ihm zu diesem Zweck eine - wohlwollend ausgedrückt - zeitgemäße, mit Fachausdrücken gespickte Arzt-Sprache in den fkitiven Mund:
»So sehr die Schulter des Bauern auch zerrissen war, ich konnte die Exartikulation im Gelenk dennoch vornehmen [...] zudem waren Teile bis unter dem Musculus subclavius eingedrungen und hatten die Arteria axillaris sehr hoch abgerissen«.
Autor Johannes Soyener gibt sich Mühe, bildgewaltig zu schreiben, ungewöhnliche Vergleiche anzustellen und dem Leser so eine historische Gänsehaut zu verleihen. Diese Bemühungen kann man als solche erkennen - und so wird das nichts mit der Gänsehaut. Spannend ist es, die (vermutlich) sehr ausgiebig recherchierte historische Figur auf deren medizinischen Wegen zu begleiten. Wer authentisch dargestellte Geschichte über Unterhaltung stellt, findet in diesem Buch ein realistisch gezeichnetes Bild von Napoleons Zeitalter - im Besonderen der damaligen medizinischen Praktiken auf den Schlachtfeldern.
- Veröffentlicht:
- Medium:
- Buch
- Autor:
- Johannes K. Soyener
- Verlag:
- Bastei Lübbe
- ISBN:
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