Lasset die Kinder zu mir kommen
Donna Leon mit Commissario Brunettis sechzehntem Fall
Eine Frau spricht bei Brunetti vor: sie hat beobachtet, dass ein hochschwangeres Mädchen in Anwesenheit fremder Menschen ein Kind bekam und kurz nach der Geburt verschwand. Andernorts wiegt der Arzt Gustavo Pedrolli glücklich seinen Sohn in den Schlaf. Nachts stürmen maskierte Carabinieri mit Maschinenpistolen die Wohnung, schlagen Pedrolli zu Boden und nehmen das Kind mit. Es stellt sich heraus, dass Pedrollis Sohn ein illegal erworbenes Adoptivkind ist, vermittelt von einer Organisation, die Geld für Neugeborene zahlt und die Kinder weiterverkauft. Parallel zum illegalen Kinderhandel müssen sind Brunetti und Kollegen um einen Korruptionsverdacht gegen venezianische Apotheker kümmern.
Commissario Brunetti ist eine erfolgreiche Romanfigur mit einem sorgsam ausgearbeiteten Umfeld. Brunetti lebt in Venedig, dessen Schönheiten und Eigentümlichkeiten die Autorin Donna Leon stets atmosphärisch zu beschreiben vermag, genau wie den charakteristischen italienischen Protektionismus. Brunetti pflegt etablierte, zwischenmenschliche Beziehungen zu anderen Romanfiguren. Er hat eine intakte und harmonische Familie: seine Frau Paola, eine Hochschulprofessorin, und zwei mittlerweile erwachsene Kinder. Mit seinem engen Mitarbeiter Ispettore Vianello verbindet ihn eine Freundschaft und die Sekretärin von seinem Vorgesetzten Patta, Signorina Elettra, kann ihm über ihre Beziehungen mitunter auch illegale Informationen beschaffen.
In dieser Welt hat alles seinen Platz und seine festen Bestimmungen, ein Umfeld ohne Konflikte oder Veränderungen. Das einzige, was Donna Leon also mit jedem Band der Reihe neu erfinden muss, ist eine spannende Kriminalgeschichte, die bei Leon stets einen sozialkritischen, politischen Hintergrund hat. Doch es funktioniert nicht mehr so gut wie früher. Nicht am statischen Umfeld Brunettis scheint die Reihe zu kranken (denn die private Harmonie dient bereits seit dem ersten Band der Erholung und Reflexion des Kommissars), sondern an den Kriminalgeschichten: es fehlen die alte Spannung und psychologische Klarheit. Spätestens seit dem fünfzehnten Band wirken die Fälle konstruiert und methodisch. Vielleicht durchbricht Leon dieses Muster in ihrem siebzehnten Fall: da geht es zumindest wieder darum, einen Mörder zu finden. Das macht hoffnungsvoll.
- Veröffentlicht:
- Medium:
- Buch
- Autor:
- Donna Leon
- Verlag:
- Diogenes
- Kommentar:
- Methodisch, aber voll von venezianischem Lebensgefühl
- ISBN:
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