So weit der Wind uns trägt
Portugiesische Familiensaga mit Liebesgeschichten und politischem Hintergrund
Das ist ein wirklich dickes Buch. Eines von der Art, das man sich einpackt, wenn bei einer längeren Reise Wartezeiten und Langeweile auftreten können. Es ist ein richtig dicker, romantischer Frauenroman.
Gut gemachte Liebesgeschichten lasse ich mir immer gerne erzählen. Eine besondere Vorliebe habe ich für das antagonistische Paar, das sich am Anfang gar nicht mag, aber durch irgendwelche Umstände aufeinander angewiesen ist und im Laufe der Geschichte zueinander findet, wobei es allerlei Widrigkeiten ausgesetzt ist, die das Zusammenkommen verzögern sollen. Man sieht dem Paar beim Verlieben zu und erlebt all die kleinen Blicke und Verlegenheiten mit, was über einen Zeitraum von nur einem Tag (wie im Film One Fine Day) oder über mehrere Jahre (mit Sprüngen in den Zeiträumen, die für die Entwicklung des Paares irrelevant sind, wie im Film Harry und Sally) stattfinden kann.
Die Art Liebesgeschichten, die ich nicht so sehr mag, sind die, in denen sich das Paar bereits gefunden hat, und liebt, und erst jetzt allerlei Widrigkeiten ausgesetzt wird. Es sind Romane, die im Umschlagstext mit (schmalztriefenden) Attributen wie »sinnlich, leidenschaftlich und sehnsuchtsvoll« beschrieben werden - genau so steht es auch in Großbuchstaben auf dem Buch So weit der Wind uns trägt.
Im Portugal des frühen 20. Jahrhunderts verliebt sich die Tochter eines reichen Großgrundbesitzers in einen armen Arbeitersohn. Hier hat sich das Paar bereits gefunden - zumindest wird der Prozess des Verliebens völlig missachtet, und aus der Kinderfreundschaft zwischen Juliana (»Jujú«) und Fernando wird in wenigen Seiten eine innige Liebe zwischen jungen Erwachsenen. Die Widrigkeiten liegen auf der Hand: den Eltern gefällt der Umgang ihrer Tochter gar nicht, und während Fernando Hochzeitspläne schmiedet und eifrig eine Karriere im Militär beginnt, fürchtet auch Jujú selbst, dass der Preis für die große Liebe ein Leben als arbeitende, arme Frau sein könnte.
Während der Abwesenheit Fernandos, der tatsächlich beruflichen Erfolg hat, verlobt sich Jujú mit einem Mann von Reichtum und Ansehen. Fernando kehrt zurück und es ergibt sich, dass Jujú kurz hintereinander mit beiden Männern schläft - und prompt schwanger ist. Was heutzutage zur Mittagstzeit im Fernsehen diskutiert wird, ist nun auch ihr Problem: wer ist der Vater? Fernando, den sie immer noch liebt, ist in den Krieg gezogen und ahnt von dem Zwiespalt zu Hause nichts. So trifft Jujú alleine eine folgenschwere Entscheidung.
Die Liebesgeschichte zwischen Jujú und Fernando ist tatsächlich nur der Anfang einer ganzen Generationen-Saga, die erst mit Fernandos Urenkel in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts endet. Und es ist nicht die ausschließliche Liebesgeschichte dieses Buchs, das sich eng an den beiden Ursprungscharakteren und deren Nachkommen orientiert und nebenher die portugiesische Geschichte fokussiert. Das Sinnliche und Leidenschaftliche findet sich in einigen wortreich beschriebenen Sexszenen wieder, und auch an der versprochenen Portion Sehnsucht mangelt es nicht.
Ein Familienstammbaum soll dabei helfen, den Überblick über die Namen zu behalten, die sich über mehrere Generationen natürlich ansammeln - es verrät allerdings mit seinen vorgezeichneten Heirats- und Nachkommenslinien viele Geheimnisse, die eigentlich erst die Handlung preisgeben sollte. Die Grundzüge der Geschichte (Handlungszeitraum, politische Konflikte als Nebenhandlung, Liebesgeschichten mehrerer Genrationen etc.) erinnern mich an Isabel Allendes Geisterhaus.
Auf einer langweiligen Reise ist das Buch genau das Richtige. Man liest mangels anderer Beschäftigung eine ganze Weile dran, das hilft über Längen und anderen Schwachstellen hinweg und ermöglicht es, sich ohne Hektik in der Geschichte zu verlieren.
- Veröffentlicht:
- Medium:
- Buch
- Autor:
- Ana Veloso
- Verlag:
- Knaur
- Kommentar:
- Viel Leidenschaft auf 750 Seiten
- ISBN:
- 3426662833 Bei Amazon kaufen