Spinnerkind
Heiko Wolz' Figur Jakob McGhee erzählt von Anklageschriften, Schießpulver und der ersten Liebe
Hätte ich das Buch im Buchhandel gesehen, es hätte vermutlich nicht meine Aufmerksamkeit erregt. Zu gewollt erscheint mir der Titel »Spinnerkind«, zu unspannend der Klappentext, der das Buch als »wunderbar schrullig« anpreist. Nun aber gibt es zwei Gründe, wieso mich dieses Buch interessiert hat. Zum einen, weil mich der Autor selbst darauf aufmerksam gemacht hat. Und zum Zweiten, weil besagter Autor als Schüler des Online-Schreibkurses www.kreatives-schreiben.net hervorgegangen ist - einem Schreibkurs, in dem es »knallhart zur Sache« geht, glaubt man den kundigen Worten von Andreas Eschbach.
Erzähler der Geschichte ist der 14-jährige Jakob McGhee, der mit zwei kuriosen Eltern auf einem Cottage bei Boston lebt und seinen Leser nicht lange im Unklaren lästt, dass bald »alles den Bach runter« geht. Was zum ersten Mal deutlich wird, als »Mom« bei ihrem Sohn via Hummer einen allergischen Schock auslöst, um so den Gastgeber eines Empfangs wegen Fahrlässiger Köfperverletzung zu verklagen. Ein Spiel, das bald zur Gewohnheit wird. Auch »Dad« ist nicht ohne, ein notorischer Erfinder mit einer »Vorliebe für Dinge, die brennen oder explodieren können« - wovon sein Sohn wiederum in Mitleidenschaft gezogen wird.
Der Titel Spinnerkind im Sinne von Kind zweier Spinner macht immer mehr Sinn.
Jakob McGhee selbst ist ein beobachtendes Passiv, das von Szene zu Szene schwenkt und aus seinem jeweiligen Blickwinkel heraus die kuriosen Eingenarten seiner Umwelt beschreibt - wie eine Videokamera, nur intuitiver.
A propos kurios. Vor allem die Beschreibung des Vaters hat mich sofort fasziniert (Schreibkurs, Lektion 1: Sie müssen Ihre Figuren möglichst bildlich beschreiben):
Dad machte nun einmal den Eindruck, als wäre er aus den Abfällen und Resten der Glasgower Hinterhöfe zusammengefügt, in denen er aufgewachsen war. Seine birnengroße Nase saß nicht in der Mitte des Gesichts, sondern war nach links verrutscht, seine Augenbrauen waren buschige Pfeifenreiniger [...]. Die langen Arme schienen fälschlich an einem Kartoffelkörper angebracht worden zu sein und verliehen ihm einen gutmütigen Orang-Utan-Gang: Oberkörper nach vorne gebeugt, die Hände mit den überlangen Handttellern an den Knien vorbeischlendernd [...].«
.. derart fasziniert, dass ich das das Bild, welches ich beim Lesen vor Augen hatte, einmal grafisch umgesetzt habe:
Diesem Prinzip bleibt der Autor treu: seine Mutter ist ein »besserwisserischer Geist« der nach »Heckenrose und Kamille« riecht. Auch bei den Bewegungsadjektiven bleibt Wolz erfinderisch und »pflügt durch die Halle« oder lässt die Dame »nach links wegtippeln«.
Der Roman ist definitiv schrullig und kurios. Auch das herrenlose Zitat auf dem Buchrücken, welches Heiko Wolz mit John Irving vergleicht, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Einordnung in die Kategorie Kinder- und Jugendbuch sollte man hingegen nicht so wörtlich nehmen - zwar ist Spinnerkind dank verständlicher Sprache und erfrischender Fremdwörterfreiheit für Jugendliche geeignet, aber Wolz weiß mit seinem sprühendem Einfallsreichtum und allerlei (von nah oder fern hergeholten) bildlichen Vergleichen auch »Erwachsene« zu überzeugen.
- Veröffentlicht:
- Medium:
- Buch
- Autor:
- Heiko Wolz
- Verlag:
- Addita
- Kommentar:
- Ein Irving, ein Salinger, ein..?
- ISBN:
- 3939481017 Bei Amazon kaufen